Samstag, 14. Oktober 2017

KUNST und Heimat


Oft ist in den letzten Tagen wieder von Beuys die Rede. Wenn der Einzug der AfD in den Bundestag mit dem ebenso aufsehenerregenden und kontrovers diskutierten Einzug der Grünen 1983 verglichen wird. Was viele nämlich gar nicht wissen und andere mit Sicherheit schon wieder fast vergessen haben: Beuys war aktiver Grüner, beim Gründungsparteitag in Karlsruhe mit dabei, 1979 deren Direktkandidat fürs Europaparlament und trotz einiger interner Querelen und Überwerfungen bis zu seinem Tod Parteimitglied. Er beackerte mit seiner Kunst eine undefinierbare Vorstellung davon, was Heimat sein könnte. Heimat jenseits von Patriotismus und trotzdem spezifisch deutsch.
„Beackert“ ist das richtige Wort. Zwar hat auch seine Kunst mit der Verarbeitung von Kriegserlebnissen zu tun. Nur hat bei ihm Heimat weniger als bei Lüpertz, Baselitz, Richter, Kiefer und Co. etwas mit Schuld zu tun, sondern mehr mit Natur und Umwelt. Es geht bei ihm zwar um Spiritualismus und Esoterik, aber ebenso stark auch um ganz konkrete Orte, Materialien (Filz und Fett natürlich) und Figuren (der Feldhase zum Beispiel), die alle etwas eigentümlich Deutsches haben und auch von nachfolgenden Generationen noch, unabhängig davon, was sie im Geschichtsunterricht lernen, mit Heimat verbunden werden. Man könnte sagen, dass er deshalb ein so großer Künstler war, weil er es verstand, dieses große Gefühl „Heimat“ mit der großen Sache „Kunst“ zu verbinden.
Auch unsere Volksvertreter haben gerade das Thema Heimat wiederentdeckt. Quer durch alle Parteien. In der Union werden Stimmen laut, die – wie schon in NRW und Bayern – die Einrichtung eines Heimatministeriums für den Bund fordern. Als „gute Antwort auf die Sorgen der Bürger in Ost und West, die sich abgehängt fühlen“, so Mike Mohring, Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion in Thüringen, gegenüber der B.Z. Grünen-Spitzenkandidatin Göring-Eckardt verkündete auf dem kleinen Parteitag nach der Wahl: „Wir lieben dieses Land. Es ist unsere Heimat. Diese Heimat spaltet man nicht. Für diese Heimat werden wir kämpfen.“ Auch in Steinmeiers Rede zum Tag der deutschen Einheit: Heimat, Heimat, Heimat. „Verstehen und Verstanden-Werden – das ist Heimat“, „Wer sich nach Heimat sehnt, der ist nicht von gestern“, „Je schneller die Welt sich um uns dreht, desto größer wird die Sehnsucht nach Heimat“, „Heimat weist in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit“ und schließlich „Heimat ist der Ort, an dem das Wir Bedeutung bekommt“. Sogar Linken-Politiker wünschen sich, dass unsere „Heimat“ endlich wieder positiv besetzt ist, unbelastet von jedweder fremdenfeindlichen Gesinnung. So wie das „Mia san mia“ des FC Bayern. 
„Der ostdeutsche Teil der Partei „Die Linke“, die vormalige PDS, beruht zu einem wesentlichen Teil auf dem der Ostdeutschen, der sich auch 27 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht in der Bundesrepublik aufgenommen, also heimisch fühlt“, erklärten zwei Linken-Politiker in einem Gastbeitrag in der WELT. Und Heimat sollte die große Klammer werden für das vielversprechende Jamaika-Bündnis. Ein Leitgedanke, Leitbild, auf das sich alle einigen können. „Klima- und Naturschutz sowie Gesellschaftspolitik für die Grünen, Wirtschaftskraft, Digitalisierung und Bildung für die FDP, Vaterlandsliebe und Sicherheit für die Union“, so der Spiegel.
Nur haben sie das Thema, für das sie eigentlich gewählt wurden, weil es uns Menschen gerade jetzt am meisten bewegt, erst zu spät und dann nicht beherzt genug aufgegriffen und verlieren sich bei Fragen, die die Angst der Menschen vor Entfremdung im eigenen Land, vor Verlust der Heimat, vorm Unbekannten anzeigen, in internen Streitereien und Machtkämpfen (Obergrenze, Leitkultur, Burkaverbot), während  sie bei Themen, die von AfD-Leuten abfällig als „Gesellschaftsexperimente der letzten Jahrzehnte (Gender Mainstreaming, Multikulturalismus, Erziehungsbeliebigkeit usf.) abgetan werden, ziemlich schnell parteiübergreifend Einigungen erzielen und viele damit überfordern. 
Es gibt bei einem Großteil der Bevölkerung keine Vorbehalte mehr gegenüber Homosexuellen und keinerlei Bedenken mehr, dass auch gleichgeschlechtliche Paare eine Ehe schließen dürfen. Deshalb ist es richtig, dass die Politik diesen Gesellschaftswandel wahrnimmt und in Gesetzesform gießt. Nur müssen dann ebenso die Sorgen der Menschen auf der anderen Seite wahrgenommen werden – statt nur der fortschrittliche Wandel.
Michael Sauga hat dem Ganzen im Spiegel einen Leitartikel gewidmet: „Abseits der Metropolen wachse der Verdruss über eine Politik, die sich auf Einwanderung und Homo-Ehe konzentriere und so eines der zentralen Versprechen des Liberalismus breche: „Gleicher Respekt und gleiche Sorge für jedes Mitglied der Gesellschaft“, auch für frühere Stammwähler.“ 
Es geht also um Entscheidungen oder die Art und Weise, wie Entscheidungen getroffen werden (bei den meisten gefühlsmäßig über deren Köpfe hinweg), die Bürger und die Politik voneinander entfernen – genauso wie von der Kunst – und zur AfD treiben. Beziehungsweise weg von der Kunst. Von der meinungsbestimmenden Elite in der Kunst fühlen sich diejenigen, die unter sozialer Unsicherheit und kultureller Verunsicherung leiden, genauso isoliert, genauso ausgegrenzt und übergangen, wie von der politischen Klasse.
Konnten deshalb so viele Leute mit der Kunst auf der Documenta nichts anfangen, weil sie schlicht zu international war? Deshalb an der Lebenswirklichkeit der meisten Leute einfach vorbeiging? Brauchen wir mehr Nationalismus und Isolationismus in der Kunst? Sind Nationalismus und Isolationismus ein Gegenmittel damit die Überforderung endet? Und ist die Kunst damit nicht ein Spiegel für das, was gerade in Europa, ja auf der ganzen Welt passiert? Ist damit nicht der Beweis erbracht, dass es sich bei Kunst wirklich um den Spiegel der echten Welt handelt, wie es immer heißt?
Was Steinmeier in seiner Rede zum Tag der deutschen Einheit anmahnt, gilt auch für die Kunst: „Wenn einer sagt: Ich fühle mich fremd im eigenen Land. Dann sollte niemand antworten: Tja, die Zeiten haben sich halt geändert. Wenn einer sagt: Ich verstehe mein Land nicht mehr. Dann gibt es etwas zu tun in Deutschland.“
Zeitgenössische Kunst sollte ein Spiegel für die Gesellschaft sein. Aber so weit links, so feministisch, so queer, so antikapitalistisch, so eindeutig multikulti sind wir doch gar nicht alle. 
Die Karlsruher Verfassungsrichter haben das dritte Geschlecht beschlossen und die AfD twittert: „In 100 Jahren wird die Menschheit auf diese Epoche zurückschauen und feststellen, dass #Gendergaga die bekloppteste Idee aller Zeiten war.“ Steckt darin nicht die Frage „Was wird in 100 Jahren noch Kunst sein?“ Die man stellen muss, wo doch heute Moral das oberste Beurteilungskriterium für Kunst ist und Kunst bei vielen unserer Mitmenschen, statt sie wirklich zu berühren für Überforderung sorgt, die wiederum den Aufstieg der AfD begünstigt, wenn man es auf Politik überträgt.
Das soll kein Boykottaufruf gegen gewisse Themen sein, die gerade Hochkonjunktur haben. Im Gegenteil, es ist wichtig, dass die Gesellschaft sich wandelt und Veränderungen in Gesetzesform gegossen werden. Aber ein Anlass festzustellen, dass es gar nicht so sehr um die Auswahl der Themen geht, sondern viel stärker um die Kraft, mit der man Dinge in der Kunst angeht. Die Kraft, für die die Kunst steht. 
In der Kunst ist jeder frei. Und das klingt natürlich auch immer gut. Frei aber nicht in der Herangehensweise – wenn am Ende Kunst rauskommen soll und nicht bloß Fingerzeig auf irgendetwas. Denn es ist leichter, sich hinter dem Einsatz für andere zu verstecken, als sich selbst für die Kunst zu verausgaben.
Beuys war auch im permanenten Einsatz für Benachteiligte. Er hat alle abgelehnten Bewerber der Düsseldorfer Akademie in seine Klasse aufgenommen. Aber er hat gleichzeitig nicht die Kunst vernachlässigt.

Themen, wie die Gender-Debatte, Feminismus, Kolonialismus und Kapitalismuskritik dürfen genauso auf keinen Fall vernachlässigt werden, aber es sollte darüber hinaus endlich wieder andere Dingen geben, für die zeitgenössische Kunst steht. Damit wieder mehr Menschen von Kunst berührt werden. Dann lässt sich auch wieder besser über Kunst streiten. So wie gerade über Heimat.  Und vielleicht kommen Heimat und Kunst dann irgendwann nicht mehr vermeintlich öffentlichen Bekundungen der eigenen politischen Einstellung gleich. Ob man rechts oder links ist.

Dienstag, 10. Oktober 2017

KUNST und Jamaika


Superkunstjahr 2017, Superwahljahr 2017, Superschreckensjahr 2017: Das starke Abschneiden der AfD bei der Bundestagswahl wurde von den Demoskopen zwar vorausgesagt, hat am Wahlabend aber doch alle ziemlich tief erschüttert und teilt Deutschland nach ‘61 nun ein zweites Mal. In „Dunkeldeutschland“, ein großer blauer Schandfleck auf der rechten Seite unserer Karte (blau steht für ein starkes Abschneiden der AfD) und ein Gebiet links mit nur vereinzelten blauen Punkten. Das gute Deutschland, der Westen mit seiner „Wir schaffen das. Digital first. Bedenken second.“-Mentalität.
Es tut gut, einen Sündenbock ausfindig gemacht zu haben und dem Ärger Luft zu machen, indem man eine breite Masse männlicher Ossis als „Hinterwäldler“, „Abgehängte“, „Die, die nur schreien können“ oder einfach nur „Nazis“ beschimpft, um sich so weit wie möglich von ihnen zu distanzieren. Zur Wiederherstellung der eigenen Ehre und des guten Ansehens im Ausland. Weil wir keine Lust haben, nur wegen einer Handvoll zurückgebliebener „Ostalgiker“ unseren gerade erst liebgewonnenen Status als Anführer der freien Welt schon wieder zu verlieren.
Dabei weiß jeder heimlich ganz genau, dass es sich in Wahrheit um ein gesamtdeutsches Problem handelt: Bei der Bundestagswahl kam die AfD auch in Baden-Württemberg, in Bayern, Berlin, Bremen, Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland auf jeweils über 10 Prozent. Deren starkes Abschneiden ist also nicht bloß die Folge der Doppeldiktatur, unter der die Menschen im Osten zu leiden hatten. 
Und wenn man etwas den Blick schweifen lässt, dann ist das Erstarken der Nationalisten, erst recht nicht ein ausschließlich deutschen Problem, sondern ein europaweites, wenn nicht sogar ein globales: Anhaltendes Bangen bis zur letzten Sekunde in den Niederlanden, in Österreich und in Frankreich, ob den Rechten nicht doch der Wahlsieg gelingt. Wilders, Le Pen oder Hofer waren kurz davor.
Trump hat es geschafft, ist seit dem 20. Januar Präsident und mit ihm die „Alt-Right“- und „White Supremacy“-Bewegung. England stimmte für den Brexit. Polen und Ungarn schotten sich ab.
Das starke Abschneiden der Nationalisten sorgt dafür, dass auch die Parteien der Mitte weiter nach rechts rücken. Aktuell erleben wir das in Österreich bei der ÖVP mit ihrem Kanzlerkandidaten Außenminister Sebastian Kurz. Der einstige Integrationsstaatssekretär vertritt heute einen scharfen Anti-Ausländer-Kurs.
Die CSU in Bayern will die „rechte Flanke“ schließen und stellte angesichts dieser Richtungsentscheidung kurz sogar die Fraktionsgemeinschaft mit der gemäßigteren Schwesterpartei in Frage.
2017 ist auch ein Trauerjahr: Attentate in Paris, London, Stockholm, Manchester, Marseille, Hamburg, Barcelona, Cambrils und Turku. Trauer um die 32-jährige Heather Heyer, die ums Leben kam als im August während einer rechtsextremen Demonstration in Charlottesville ein weißer Rassist in eine Gruppe von Gegendemonstranten fuhr. Trauer um die vielen Opfer des Amokschützen von Las Vegas. Trauer um die zu Unrecht Inhaftierten in der Türkei. Deniz Yücel, Mesale Tolu mit ihrer kleinen Tochter und Peter Steudtner.
So sieht also die Ausgangslage beim Antritt einer zukünftigen neuen Bundesregierung aus, bei der es sich möglicherweise um ein Jamaika-Bündnis aus Union, FDP und Grünen handeln wird. Sofern die nach einer historischen Wahlniederlage heftig taumelnde SPD eine Neuauflage der GroKo weiter ablehnt.
Für viele hat das Ergebnis der diesjährigen Bundestagswahl aber auch etwas Gutes: Die AfD im Parlament gibt denjenigen wieder eine Stimme, die sich zuletzt nicht mehr repräsentiert fühlten, während Jamaika, eine bürgerlich-ökologisch-liberale Koalition, ein weder-rechts-noch-links-Bündnis, das es noch nie zuvor auf Bundesebene gegeben hat, für ein Deutschland steht, wie es dessen Bewohner gerne hätten und für deren eigene Vorzeigevarianten.
Für ein Deutschland, das nach außen schon längst genau so wirkt, auch wenn das dessen Bürger bisher einfach noch nicht erkannt haben. 
„Deutschland ist der fortschrittliche, moralische, weise Staat auf diesem Planeten – erstaunlich“, schwärmt Hollywoodstar Richard Gere gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland und bekennt als er sich anlässlich der Berlinale einige Tage in der Hauptstadt aufhält und in seiner Funktion als Klimakämpfer und Vorsitzender der International Campaign for Tibet von Kanzlerin Merkel und Grünen-Urmutter Claudia Roth empfangen wird, mit der ihn eine jahrelange Freundschaft verbindet: „Wir blicken nach Deutschland und suchen Inspiration.“
Nun haben wir uns endlich selbst erkannt: Laptop, Lederhose, Homo-Ehe, E-Motor.
Namensstifter Jamaika steht währenddessen für Sommer, Sonne, Reggae, Dreads, Drogeneinfluss, gute Vibes und Gelassenheit. Ein Sehnsuchtsbild, das einen krassen Gegensatz bildet zur bedrückenden Weltlage. 
Auch Kunst speist sich aus Sehnsucht und Hoffnung und entwickelt daraus ihre Kraft. Und auch bei der Beurteilung von Kunst geht es genauso immer um mehr, als reell da ist. 
Mit Kunst allein kann man nichts in der Welt verändern, aber mit der Anspruchshaltung an sich selbst als Künstler, die aus dem eigenen Ideal Kunst hervorgeht. Kunst kann dann etwas bewirken, wenn man unter Kunst nicht Kunstwerke versteht, sondern den Selbstanspruch, der aus der Künstlerrolle erwächst, und die daraus entstehende Antriebskraft.
Künstler-Sein bedeutet, sich selbst vor Augen zu halten: Ich will Künstler sein, deshalb muss ich besser sein als die anderen, kreativer sein, leistungsorientierter, anspruchsvoller, aufmerksamer, unzufriedener, unnachgiebiger, visionärer, extremer und radikaler. Kunst lebt von unerreichbaren Ansprüchen.  Kunst bedeutet über sich selbst hinauszuwachsen.
Ich selbst bin innerlich zerrissen zwischen der Einsicht, dass es notwendig ist, anderen zu helfen, dem Bedürfnis anderen zu helfen, der Ahnungslosigkeit, wie das mit Kunst gehen soll, dem Eingeständnis, dass es vielleicht gar nicht geht und der Notwendigkeit weiter Kunst zu machen, um mir selbst zu helfen. Ich fühle mich selbst am meisten hilflos, deshalb mache ich Kunst.
Doch irgendwann sollte jeder mit seiner Kunst über den Zustand der permanenten Selbstbespiegelung hinauskommen und zwar mittels ebenjener Kunst. Indem man mit Kunst die eigenen Probleme verarbeitet und durchs Kunst-Machen, genug Selbstvertrauen, Selbstzufriedenheit gewinnt, sodass die eigenen Probleme nicht mehr alles andere überlagern. Es gibt also doch die Kategorien „gelungen“ und „misslungen“ in der Kunst, die man an sich selbst am Heilfaktor der Kunst festmachen kann.
Dass Kunst einem Künstler hilft mit dem eigenen Leben klarzukommen, das ist für mich die wahre Wirkung von Kunst.




Freitag, 22. September 2017

KUNST kurz vor der Wahl

(c) Wolfgang Tillmans
Wolfgang Tillmanns ruft mit einer Plakatkampagne zum Urnengang auf, ich beschäftige mich mit der Frage, warum so viele Leute das Gefühl haben, dass es egal ist, wen oder welche Parte man wählt (abgesehen von der AfD, versteht sich) weil sich ohnehin nicht ändern wird, während es gleichzeitig immer mehr aktivistische Kunst gibt...

Wer den Wahlkampf verfolg hat, die Medienberichte und dazu noch, was die Parteien, die Herausforderer sich gegenseitig vorwerfen – „Wahlkampf im Schlafwagen“, als TV-Duell getarnte Werbung für Erneuerung der GroKo, Merkel bloß „Vergangenheitsverwalterin“, vom „Schulzzug“, „Gottkanzler“, „Sankt Martin“ nur noch „Charme eines Sparkassenangestellten“ über, die FDP ist die „Nutten-Partei, weil sie mit jedem ins Bett geht und dann umfällt“, die Grünen sind überflüssig, weil ihr Programm längst Allgemeingut ist – der wird das Gefühl nicht los, dass es egal ist, wen oder welche Partei man wählt, weil sich ohnehin nichts ändern wird.
Ganz anders in der Kunst: Scheint so, als erhalte jeder Künstler heute mit der Einladung, an einer Ausstellung teilzunehmen, automatisch auch den Auftrag, die Welt zu verändern. Kunst gegen Kapitalismus, Neoliberalismus, Rassismus, Kolonialismus, Genderisierung, gegen jedwede Form der Unterdrückung, Diskriminierung, Kunst für und mit Flüchtlingen und für die Umwelt.
Was alle drei jedoch gemeinsam haben, die politische Klasse, die Medien und die Kunst: Ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Schulz kündigt während des TV-Duells einen neuen harten Kurs gegen Ankara an, obwohl sich Merkel und Gabriel kurz zuvor noch auf Beschwichtigung geeinigt haben und der Streit um die Flüchtlingsobergrenze, der fast zum Bruch der Schwesterparteien CDU/CSU geführt hätte, war im Grunde nichts anderes als Wortklauberei – ob das ganze jetzt Obergrenze oder Kontingent genannt wird. Die etablierten Medien werden als „Lügenpresse“ oder  „Fake News“ verunglimpft. Ressentiments, die es längst nicht mehr nur in den USA gibt, sondern auch in Deutschland, zum Beispiel im Zusammenhang mit Berichten über die rechte oder die salafistische Szene.

Ich spare mir an dieser Stelle den sonst so beliebten Versuch, zu transkribieren wie „Lügenpresse! Auf die Fresse!“ mit sächsischem Dialekt klingt. Man stelle sich doch nur einmal einen wütenden Mob aus lauter Judy Lübkes vor.
Stattdessen will ich warnen. Warnen vor den gleichen Vorbehalten gegenüber der Kunst.
Die Verbindung zwischen Kunst und „Fake News“ ist gar nicht so an den Haaren herbeigezogen, wie sie klingt. Denn die Kritik an der Kunst auf Kunstgroßveranstaltungen wie der Documenta oder der Biennale, vielleicht auch an der zeitgenössischen Kunst allgemein, lautet übereinstimmend: Sie will viel, nur leider kommt davon nichts rüber. Die Pleite der diesjährigen Documenta darf also nicht vergessen machen, dass der eigentliche Flop die ausgestellte Kunst war. Was ich mit Glaubwürdigkeitsproblem meine, zeigt sich besonders deutlich am Beispiel von Michel Abdollahis riesigem Schaumstoffküchenschwamm, der ein Zeichen gegen Rassismus sein soll und den er in Hamburg und in Augsburg ausgestellt hat. In Hamburg wurde er angezündet und in Augsburg in Windeseile von spielenden Kindern zerpflückt, ohne dass die Eltern eingegriffen hätte. 


(c) Michel Abdullahi
Reaktionen auf Facebook, wie „Ein Schwamm? Das ist doch kein Zeichen gegen Rassismus! Was soll das? Das kann ich auch!“, von denen er in einem Radiointerview mit dem SWR berichtet, machen deutlich, worauf ich hinauswill. Erstens: Die vermeintliche Kunst ist so schlecht, dass man ihr gar nicht ansieht, dass sie ein Zeichen gegen Rassismus sein könnte. Zweites: Und das ist noch viel schlimmer. Die Kunst ist so schlecht, dass man gar nicht glaubt, dass es sich dabei überhaupt um Kunst handelt.
Jerry Saltz, der berühmte New Yorker Kunstkritiker, hat es etwas diplomatischer formuliert und schreibt – zwar nicht im Bezug auf dieses Kunstwerk, sondern über zeitgenössische aktivistische Kunst allgemein: "Der Kunst fehlt eine dritte Ebene. Abgesehen von Politik und Bild."
Und mit dritte Ebene meint er das, was eine Sache überhaupt erst zur Kunst macht. Das unsagbar Schöne, Ergreifende, Berührende oder im Gegenteil Erschütternde. Also das eigentlich Kunsthafte. 
Und weil „schlechte Kunst“, schlechte Kunst, die trotzdem die meiste Aufmerksamkeit bekommt, längst kein Einzelfall mehr ist, wird der Anteil des Publikums, für den es unangemessen ist, wenn  Kunst sich mit solchen großen Fragen, wie Flüchtlingskrise, Rassismus oder Umwelt beschäftigt, immer größer. Obwohl sie doch eigentlich für denjenigen, der Kunst macht, für den Kunst das Allergrößte ist, ganz selbstverständlich zur Kunst gehören und zum Nimbus, der wiederum die Kunst umgibt. 
Vielleicht gibt es auch nur deshalb so viel schlechte Kunst, weil der Künstler mit all diesen Fragen schlicht überfordert ist. Eine Überforderung, die besonders in unserem Zeitalter der Hyperinformiertheit und medialer Daueröffentlichkeit deutlich zu Tage tritt.
Diesem Widerspruch versuche ich hier auf den Grund zu gehen. Daher zunächst folgende Feststellung: Es gibt nichts Zusammengehöriges, das so ungleich ist, so uneinheitlich, so sehr voneinander abweicht, wie die Vorstellung von Kunst, der Kunstwelt und das Bild vom Künstler. Mit „uneinheitlich“ meine ich die unterschiedlich große Bedeutsamkeit, die sie besitzen. Deren unterschiedlich hohen Stellenwert. Alle drei, Kunst, Künstler und Kunstwelt, gehören eigentlich zusammen, nehmen aber jeweils einen anderen Rang ein.
Ganz oben steht die Kunst. Der Künstler macht Kunst. Künstler, Kunstwerke und das Kunstpublikum bilden gemeinsam die Kunstwelt.
Es ist bestimmt nicht falsch, wenn man festhält, dass die Kunstwelt viel Glanz einbüßen musste in Folge der Skandale um Achenbach, Beltracchi und Gurlitt, der Diskussion um unsere koloniale Vergangenheit, die das Humboldtforum ausgelöst hat und durch Preise für Kunst, die in schier unermessliche Höhen steigen, während gleichzeitig Künstler eine ebenso große Abgehobenheit demonstrieren. Ai Weiwei beispielsweiße, hält es für einen wertvollen Beitrag zur aktuellen Debatte, sich in der Pose eines toten, am Strand angespülten Flüchtlingskind ablichten zu lassen.
Es hat sich eingebürgert, zu sagen, der Künstler macht Kunst. Gemeint ist aber eigentlich, dass er Kunstwerke herstellt. Denn die Kunst ist nicht einfach das Ergebnis des Kunstschaffens, sondern ein Ideal, für das der Künstler lebt und das überhaupt erst Auslöser ist für den Drang, Kunst zu schaffen. Richtiger wäre allerdings, zu sagen „Kunstwerke herzustellen“. Auch wenn das weniger außergewöhnlich klingt und sich dementsprechend weniger nach Kunst anhört. Hieran zeigt sich, worauf ich hinauswill: Dass es einen Unterschied macht, der in der Rangordnung liegt, ob man von „Kunst“ oder „Kunstwerken“ spricht, dass „Kunst“ und „Kunstwerk“ nicht gleichbedeutend sind – auch wenn „Kunst schaffen“ und „Kunstwerke herstellen“ hier dasselbe meinen.
Nun gibt es drei Probleme, die am Verlust der Glaubwürdigkeit und am Bedeutungsverlust der Kunst schuld sind. Eines führt ja zum anderen.
Erstens dass nicht zwischen Kunst (Kunst als oberste Instanz, als höchstes Ideal, also dem Grund, überhaupt Kunstwerke zu machen) und Kunstwerken (als bloße Verdinglichung des Versuchs eines Künstlers, seinem hohen Ideal nachzugehen) unterschieden wird.
Zweitens dass die Aufmerksamkeit, wenn überhaupt unterschieden wird, zu sehr auf den Kunstwerken liegt, statt auf der Kunst. Also darauf, was eigentlich hinter einem Kunstwerk steckt und in punkto Bedeutung weit darüber steht.
Es kann vielleicht die Art oder Form der Auseinandersetzung, also das Kunstwerk, kritisiert werden. Zum Beispiel dass Kelley Walker Archivbilder von Protesten der Afroamerikaner in den 60ern auf Leinwände druckt und mit Schokolade und Zahnpasta beschmiert oder Ai Weiwei in der Prager Nationalgalerie ein 12 Meter langes Flüchtlingsboot von der Decke hängen lässt. Aber niemals die Anspruchshaltung des Künstlers, sich mit ebenjenen großen Fragen zu beschäftigen. Der Anspruch, der genauso zur Kunst gehört, wie die Unwissenheit, was wirklich Kunst ist, die deren hohen Rang überhaupt erst sichern. 
Der Werteverfall in der Kunstwelt und schlechte Kunstwerke begründen also nicht einen Bedeutungsverlust der Kunst.
Drittes Problem: Weil die ersten beiden Punkte nicht vermittelt werden, hält ein breites Publikum noch immer an Maßstäben oder Kriterien für gute beziehungsweiße schlechte Kunst fest, wie Ästhetik, Technik, Meisterhaftigkeit, die längst nicht mehr ausschlaggebend sind für zeitgenössische Kunst und ist enttäuscht, wenn Kunstwerke diesen Ansprüchen nicht genügen. 
Es besteht also folgendes Dilemma: Während die moralischen Ansprüche eines Künstlers an sich selbst und sein eigenes Werk immer größer werden, was mit unser aller Lebensumständen zusammenhängt, hängen für ein breites Publikum die Beurteilungskriterien für Kunst noch immer mehr mit Schönheit und Form zusammen als mit Moral.
Abgesehen vom Aufmerksam-Machen auf relevante gesellschaftspolitische Themen, gibt es also noch eine andere, viel größere Erwartung an Künstler. Nämlich die Erschaffung großer Kunst, die aus sich selbst heraus Kunst ist und nicht weil es sich um ein besonderes Lehrstück in Sachen Moral handelt. Deshalb zählen Ambitionen weniger als ein fertiges Kunstwerk. Und es dominiert noch immer die Vorstellung, dass große Kunst dann entsteht, wenn ein Künstler ganz intensiv mit sich selbst und seinem eigenen Werk beschäftigt ist, obwohl Isolation und Mit-Sich-Selbst-Beschäftigt-Sein im Widerspruch stehen zu den Anforderungen unserer Zeit und der Rolle des zeitgenössischen Künstlers als Influencer, Selbstunternehmer und Alleskönner.

Die Schuld liegt aber nicht beim Publikum, sondern den Akteuren der Kunstwelt, allen, die mit Kunst Geld verdienen und kein Interesse daran haben, dass die Bedeutung vom Verkaufsgegenstand hinüberwandert zum immateriellen Wert der Kunst.

Freitag, 18. August 2017

KUNST und Haltung

(c) AFP (Josep Lago)
Die Bundeswehr hat ein Haltungsproblem (Nazi-Skandal!), Manager haben ein Haltungsproblem (Diesel-Skandal!), die Politik hat ein Haltungsproblem (Verwicklungsskandal!), die katholische Kirche hat ein Haltungsproblem (Missbrauchsskandal!), Islamisten sowieso. Die ganze Welt hat offenbar ein Haltungsproblem. Selbst Gott hat eins. Oder ist die Theodizeefrage, also die Frage, ob es Gott gibt, und wenn ja, warum er dann so viel Leid zulässt, etwa etwas anderes, als die Frage, ob Gott ein Haltungsproblem hat? Die Revolution, die im 18. Jahrhundert gemeinsam mit anderen Kollektivsingularen, zu denen auch die Kunst gehört, Gott abgelöst hat, hat mittlerweile auch ein Haltungsproblem (Venezuela). Und immer wird das Ganze von noch schlimmeren Krisen überschattet: Von einem US-Präsidenten, der einen Atomkonflikt mit dem Iran und Nordkorea riskiert, von immer neuen unschuldigen Gefangenen in der Türkei, von immer neunen Opferrekorden, die der Terror aufstellt.
Auch die Kunst, um die es hier geht, hat ein Haltungsproblem: Es geht bei engagierter Kunst immer um die ganz großen Fragen, die sich kritisch mit unserem System auseinandersetzen, vor allem mit Kapitalismus und Neoliberalismus, die sich um die Flüchtlingskrise drehen, um Vergangenheitsbewältigung, um die Verbrechen des Nationalsozialismus und Kolonialismus, um Genderisierung oder um die Umwelt. Sie hat sich darin auf redliche Weise, indem sie zuvor etwa irgendwelche kleinen Fragen beantwortet hätte, die das Tagesgeschehen betreffen, aber keine Kompetenz erworben, sodass es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, wodurch die Kunst diese Kompetenz für die großen Fragen überhaupt besitzen sollte oder, weniger geringschätzig vielleicht, woher ihr Verantwortungsgefühl kommt. Jedenfalls nicht, indem sie zuvor irgendwelche kleinen Fragen beantwortet hätte. Die das wären: Ob es Unrecht war, dass Niedersachsens MP Stephan Weil seine Rede vorab bei VW vorgelegt hat oder dass Baden-Württembergs grüner MP Winfried Kretschmann einen Diesel, also einen Luftverpester, fährt. Die Frage, ob Christian Wulff als Ex-Bundespräsident für ein türkisches Bekleidungsunternehmen arbeiten darf oder ob er damit nicht gegen die Würde des Amtes verstößt und sein Anrecht auf den Ehrensold in Höhe von jährlich 236.000 Euro verliert. Genauso was mit Gerhard Schröder ist und seinem Aufsichtsrat-Job bei Rosneft. Warum sich in Köln nur so wenige Muslime am Friedensmarsch gegen Gewalt und islamischen Terror beteiligt haben und warum abermals – diesmal in Barcelona – eine Verrückter in eine Menschenmenge fuhr.
Es geht bei engagierter Kunst immer um die ganz großen Fragen, aber sie beteiligt sich nicht (oder nur sehr selten) an den kleinen. Am, wie man so schön sagt, „Tagesgeschäft“.
Doch wird die Kunst im öffentlichen Diskurs darüber überhaupt vermisst? Gibt es eine Mehrheit, die sich darüber beklagt, dass Kunst sich an Diskussionen über das Tages- oder Wochengeschehen, die täglich in den Medien oder Sozialen Netzwerken stattfinden, nicht beteiligt? Oder umgekehrt dass solche Debatten im Feld der Kunst nicht stattfinden?
Beziehungsweiße steht Kunst überhaupt in der Verantwortung sich am Tagesgeschehen zu beteiligen? Sich mit kleinen Fragen aufzuhalten? Oder verliert sie dadurch nicht sogar ihren Glanz? Zur Qualität  großer Kunst zählt zwar, dass sie nah am Zeitgeist ist, aber gleichzeitig auch zeitlos und universell.
Auf der anderen Seite: Wenn Kunst sich schon für die großen Fragen verantwortlich fühlt, ist sie dann nicht umso mehr auch für die kleinen verantwortlich? Und erwartet man nicht – wenn sie schon die großen Fragen behandelt – dass sie zuvor bereits Antworten auf die kleinen gefunden hat?
Kann man die Kunst vielleicht ein bisschen mit der Kirche vergleichen, von der sich einstmals – es ist vielleicht noch gar nicht so lange her – viele Schäfchen gewünscht hätten, dass sie sich mehr ins Tagesgeschehen einmischt, dass die Kirche sie mehr bei den kleinen, alltäglichen Fragen des Lebens unterstützt, die sich dazu aber nicht herabgelassen hat? Dadurch immer mehr an Einfluss und Bedeutung verlor, sodass sich heute kaum jemand mehr dafür interessiert, was sie zu den großen Fragen, zur Abtreibung oder Home-Ehe etwa, zu sagen hat. Die Kunst fühlt sich verantwortlich für die großen Fragen, kann aber keine Antworten auf die kleinen finden oder interessiert sich gar nicht erst dafür.
Einerseits, ganz praktisch, kann man mit Kunst gar nicht schnell genug reagieren auf Dinge wie Dieselgate, Nazi-Vorwürfe gegen die Bundeswehr, Air Berlin-Pleite oder Leitkultur. Zwar können sich Künstler wie alle anderen am öffentlichen Diskurs beteiligen, aber ehe ein Kunstwerk – ein Kunstwerk als Beitrag zu einer Debatte – fertig wäre, würde schon längst wieder ein neues Problem auftauchen und das alte in Vergessenheit geraten.
Andererseits stellt sich bei Problem, die so gravierend sind, dass genug Zeit wäre, sich künstlerisch damit auseinanderzusetzen, die Frage, ob Kunst überhaupt ein angemessenes Mittel ist, sich mit diesem Problem zu beschäftigen, ob Kunst diesem Thema gerecht werden kann und seitens der Künstler sogar, ob es moralisch richtig ist, daraus Kunst zu machen.
Sicher, man kann hier entgegnen: Was ist denn mit all der Kunst, die in Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus geschaffen wurde? Stolpersteine. Das Holocaustdenkmal. Sind die etwa unangemessen? Verfehlen die etwa ihre Wirkung? Sind Sie nur angemessen, weil die Nazizeit vorbei ist und der Schrecken nicht mehr gegenwärtig?
Gegenfrage: Würden heute in Deutschland noch Unschuldige vom Staat nur wegen ihres Glaubens aus ihren Häusern verschleppt werden mit der Gewissheit nie wieder zurückzukommen, wären dann Stolpersteine, die jetzt gerade wieder wahlkampfmäßig von Bundestagskandidaten poliert werden, eine angemessene Auseinandersetzung oder ein schöner Trost?
Die Diskussion um das geplante Einheitsdenkmals „Bürger in Bewegung“, das vor dem Haupteingang des Humboldtforums errichtet werden soll und dessen Einweihung für 2019 angesetzt ist, zeigt, wie erheblich heute die Zweifel am Sinn solcher Erinnerungs- beziehungsweiße Mahnungskunst sind.
„Bürger in Bewegung" soll ein Denkmal werden für die friedliche Bürgerbewegung, die dafür gesorgt hat, dass die Mauer fiel. Aber ist es auch ein angemessenes Denkmal für die 139 Menschen, die beim Versuch, die Mauer zu überqueren, von DDR-Grenzwächtern erschossen wurden? Oder für die 1274 Menschen, die beim waghalsigen Versuch, über die Ostsee aus der DDR zu fliehen, ertranken oder an Erschöpfung und Unterkühlung starben?
Hanno Rauterberg nennt in einem Feuilletonstück in der ZEIT („Tanz der Tugendwächter“, ZEIT Nr. 31 vom 27.07.2017) Beispiele, in denen eine falsche Haltung sogar Anlass für Kulturkämpfe war: Schwarze gegen Weiße im Falle Kelley Walkers, einem Künstler, der in Fotoarchiven nach Bildern von Protesten der Schwarzen in den 60ern sucht und diese mit Schokolade auf Leinwand druckt. Afroamerikanische Museumsmitarbeiter fühlten sich davon diskriminiert und sind gemeinsam mit einer Petition gegen ihn vorgegangen.
Oder Ureinwohner gegen diejenigen, die ihnen einst ihr Land weggenommen haben. So
brachten Nachfahren von Indianer mit Parolen wie „Unser Völkermord ist nicht eure Kunst!“ und indem sie 200 Dollar auf sein Skalp aussetzten, den Künstler Sam Durant, der keine indianischen Wurzeln hat, dazu, seine Installation zu zerstören, die an den Massenmord an den Indianern erinnern sollte.
Für diejenigen, die auf der Seite der Kunst stehen, gibt es keine Bedenken, dass es bei Kunst um die großen Fragen geht, deren Spanne von Wiedergutmachung bis Systemkritik reicht. Für alle anderen allerdings schon.
Die Kunst hat also ein Kompetenzproblem, das man am besten versteht, wenn man sich folgendes vergegenwärtigt: Es gibt für die meisten Menschen drei Arten von Kunst. Kunst, die schön ist, Kunst, die sie nicht verstehen und Kunst, die sich für irgendetwas einsetzt.
Wenn Kunst in der Wahrnehmung der meisten Leute aber entweder einfach nur schön oder im anderen Fall schlicht unverständlich ist, dann zweifeln sie zurecht an der Kompetenz der Kunst in den großen Fragen.
Diese Zweifel würden nicht bestehen, wenn Kunst mehrheitlich – und nicht bloß von Künstlern – als oberste Instanz angesehen werden würde. Weil hinter jeder Kunst ein Mensch steckt, stellt sich stattdessen aber die Frage, woher wiederum ein Künstler die Kompetenz für Kunst besitzen sollte, wenn Kunst für ihn das Allergrößte ist, es für ihn bei Kunst dementsprechend um die ganz großen Fragen geht und es nur eine einzige einheitliche Definition von Kunst gibt, die lautet: Niemand weiß, was Kunst wirklich ist.
Und ständig vermischen sich beide Fragen miteinander: Ist es nun die Kunst, die für die großen Fragen verantwortlich ist oder der Künstler, der sich angesichts seiner Aufgabe, Kunst zu produzieren,  der Anspruchshaltung Kunst, für die großen Fragen verantwortlich fühlt.
Dieses Haltungsproblem diagnostiziert auch Kritikerlegende Jerry Saltz der Kunst in einem Beitrag, der jetzt erst auf Deutsch auf art-magazin.de erschien. (http://www.vulture.com/2017/06/looking-for-new-electricity-in-the-mostly-static-art-world.html)
 Mit deutlicher Verspätung, denn darin bezieht sich Saltz auf die Ausstellung "Wrong Side of History", die vom 18. Mai bis 9. Juli in der New Yorker Galerie Bullet Space lief. Er beklagt: „Wir sind gegenwärtig Zeugen eines politischen Paradigmenwechsels, und angesichts der großen Umwälzungen und Risiken fühlt sich die Wirklichkeit außergewöhnlich lebhaft an. Doch je gründlicher ich nach ähnlichen Lebenszeichen in der Kunstwelt Ausschau halte – was ich stets tue – desto frustrierter bin ich.“
Liest man Saltzs Text bekommt man folgenden Eindruck: Das Mitgefühl vieler Künstler ist entweder gar nicht echt und sie versuchen, öffentlichkeitswirksam auf einer Welle der Solidarität mitzuschwimmen, beschäftigen sich bloß zu ihren eigenen Gunsten mit diesem Thema. Oder sie schnappen sich ein ernstes Thema, weil sie kein eigenes haben, sich menschliches Leid, ganz egal ob eigenes oder das von anderen, aber immer besonders gut zu Kunst verarbeiten lässt.
Eine Teufelsspirale, denn je heftiger das Unrecht und die Ungleichheit auf der Welt (in Gestalt der anströmenden Flüchtlinge zum Beispiel) an unsere Türen klopfen, desto beschämender erscheint es, sich mit den eigenen Problemen zu beschäftigen und die eigenen Probleme zum Gegenstand der Kunst zu erheben, die im Vergleich zu den großen Menschheitsproblemen geradezu mikroskopisch klein erscheinen.
Doch wäre dieser Umstand nicht eigentlich das viel geeignetere, ehrlichere Thema für Kunst? Also dass Kunst mit dem Glauben daran zusammenhängt, man selbst sei etwas Besonderes, dem Wunsch, besondere Dinge zu tun, die jedoch nach Krisen, wie wir sie in letzter Zeit erlebt haben, sagen wir Terroranschläge, auf tragische Weiße mit der Realität zusammenprallen und der traurigen Erkenntnis, wie wenig man mit Kunst tatsächlich bewegen kann. Und empfinden dieses Gefühl nutzlos zu sein, den Dingen machtlos gegenüber zu stehen, nicht alle? Aber hat nicht gerade der Künstler ganz besonders das Recht dazu, daraus Kunst zu machen, weil er dieses Gefühl, das alle teilen, vielleicht tausendmal stärker empfindet als alle anderen, weil bei ihm das Gefälle so groß ist zwischen seinem hohen Ideal von Kunst, zwischen dem, was er mit Kunst vorhatte und dem was man mit Kunst tatsächlich erreichen kann. Natürlich nur wenn diese Einsicht, wenn diese Gefühle auch echt sind.
Hätten in einem solchen Fall Zweifel an der Kompetenz oder Authentizität überhaupt noch eine Berechtigung?
Leider bekommt man in letzter Zeit eher den Eindruck, dass Künstlern oder Kuratoren die hohe Kunst der Selbstreflexion abhandengekommen ist. Dass sie vielleicht sogar ernsthaft an eine Überlegenheit in allen moralischen Fragen glauben, die den Künstlern von Natur aus gegeben ist. Wie sonst soll man sich die diesjährige Biennale erklären, vor allem die von Christine Macel kuratierte Hauptausstellung auf dem Arsenale, auf der einem ein Foto, das den auf einer Museumsbank schlafenden Künstler Mladen Stilinović zeigt, als wertvolles, lehrreiches Statement zum Leistungsdruck, unter dem jeder heute leidet, verkauft wird? Glaubt man an so eine Überlegenheit, sieht man natürlich keine Notwendigkeit mehr für besonders großen Einsatz.
Das ist auch Saltzs zweite Hauptkritik: Die Auseinandersetzung politischer Kunst mit der Wirklichkeit ist nicht intensiv und das Ergebnis schlichtweg nicht gut genug.
Problematisch ist nicht das Anliegen ihrer Arbeiten (wir nehmen alle gleichermaßen Anteil), ihrer Thematiken oder ›Ernsthaftigkeit‹. Niemand meint, dass Kunst bloß lieblich, albern, zugänglich oder schön zu sein habe, oder gar dass ernsthafte Themen nicht in den Bereich der Kunst fielen. (...) Problematisch ist jedoch, wie unoriginell, nachgeahmt, offensichtlich und trivial die Arbeiten sind. Und wie ähnlich sie einander sehen.“, so Saltz.
Saltz’s Schluss: Der Kunst fehle eine dritte Ebene – abgesehen von Politik und Bild. Mit dritte Ebene meint er das, was eine Sache überhaupt erst zur Kunst macht:  Das unsagbar Schöne, Ergreifende, Erhellende, Aufrüttelnde, Berührende oder im Gegenteil Erschütternde. Im Kern: Politischer Kunst fehlt das eigentlich Kunsthafte. 
Auch Rauterberg diagnostiziert diesen Mangel: „Viele interessieren sich selbst nicht mehr für Formfragen, eher schmückt man sich mit politischen Botschaften und übt kritische Tugendhaftigkeit.“ Wir erleben also ein Blüte politischer, aktivistischer, engagierter Kunst und das gleichzeitige Verschwinden echter Kunst. 
Das heißt: Obwohl Kunst für Künstler das Allergrößte ist und es deshalb für sie bei Kunst automatisch oder unvermeidlich um die großen Fragen geht, ist deren Auseinandersetzung mit diesen Fragen nicht von einer Intensität, die man angesichts der Schwere der Themen erwarten würde – sei es aus Unvermögen, aus Überforderung oder im schlimmsten Fall weil sie zu Unrecht glauben, dass einer Sache, einfach schon indem sie sich mit ihr beschäftigen, etwas Kunstmäßiges anhafte und das ausreiche. Dementsprechend ist die Qualität der Kunst gering, damit auch der Gewinn, den man daraus ziehen kann, sodass das Publikum an ihrer Kompetenz in den großen Fragen zweifelt. Die Schuld daran trägt der Künstler der ihre beziehungsweiße seine eigene Zuständigkeit nicht in Frage stellt. 
Was ist denn mehr Kunst? Wenn 120 Bundestagsabgeordnete der Grünen und Linken im Rahmen einer von der Seenotrettungsorganisation Seawatch organisierten Aktion Flüchtlinge spielen und in einem wackligen Schlauchboot vor dem Bundestag in die Spree steigen oder wenn Ai Weiwei ein 70 Meter langes Flüchtlingsboot mit 258 überlebensgroßen Flüchtlingspuppen als Insassen in der Prager Nationalgalerie von der Decke hängen lässt?
Wenn der italienische EU-Parlamentarier Gianluca Buonanno als Merkel verkleidet die Rede von Jean-Claude Junker stört oder wenn sich Ai Weiwei auf einem Foto ausgibt als die am Strand von Bodrum angespülte Leiche des dreijährigen Aylan Kurdi?
Und warum ist es keine Kunst, wenn Ex-Präsident George W. Bush sich als Maler betätigt? Warum sind die Bilder von George W. Bush keine Kunst? Vielleicht nicht die Hundebabys, aber die Werkreihe „Portraits of Courage“, für die er verwundete und traumatisierte US-Soldaten portraitierte, die unter seinem Befehl im Einsatz waren.
Wird hier die Frage nach Recht oder Unrecht nicht viel ehrlicher gestellt? Nicht viel ehrlicher die eigene Schuld untersucht? Hat die Kunst hier nicht sogar einen echten Nutzen, der bei den vorherigen Beispielen nicht ersichtlich war: Hier wird Kunst als Mittel der persönlichen Wiedergutmachung auserwählt.
Doch Bush, der seine eigene Schuld in Bildern verarbeitet, ist kein Künstler, weil er für sich nicht in Anspruch nimmt, Künstler zu sein. Ganz einfach. Niemand wird ihn zum Künstler erklären, wenn er es nicht für sich selbst in Anspruch nimmt und umgekehrt wird auch niemand Ai Weiwei absprechen, dass er ein Künstler ist, obwohl er schlechte Kunst macht, solange er erklärt, dass er Künstler ist.
Kunst ist also eine Frage der Haltung. Aber damit der Verdruss über Kunst verschwindet, der hier deutlich wurde, und Kunst endlich wieder einen Sinn hat, müsste es, bevor es darum geht, welche Haltung, ein Künstler zu einem gewissen politischen Thema einnimmt, das er mit seiner Kunst bearbeitet, um die Frage gehen, wie er vor allem sich selbst beweist, dass er Künstler ist. Nicht weil ein Kunstpublikum einem Künstler grundsätzlich misstrauen soll, sondern weil es aus dem Weg, auf dem der Künstler zu dieser Überzeugung, diesem Selbstverständnis gelangt, der heute noch zusätzlich durch die Frage erschwert wird, ob es angesichts von Terror und Flüchtlingskrise angemessen ist, weiter Kunst zu machen, eine viel größere Lehre, einen viel größeren Nutzen ziehen könnte, als aus Kunstwerken. Weil vielleicht sogar der Weg des Künstlers dorthin, zu diesem Selbstverständnis, zu dieser Überzeugung die eigentliche Kunst ist.
Kunst hat also mehr mit Leben, mit Lebensplanung zu tun, als mit der Herstellung von Kunstwerken. 
Diese Haltung lässt sich auch aufs Kunstpublikum übertragen. Dann gilt: Ich interessiere mich für Kunst. Wenn ich mir schon Zeit für Kunst nehme, wenn mir Kunstgenuss wichtig ist und wenn es bei Kunst vor allem um mich selbst geht, um Zeit für mich selbst und mit mir selbst geht – ich gehen davon aus, dass es beim Kunstbetrachten mehr um Zeit für einen selbst geht, durch die man zu einem Erkenntnisgewinn kommen kann, als um einen direkten Erkenntnisgewinn durch Kunst – dann muss ich mich zwingend in noch stärkerem Maße auch mit der Wirklichkeit auseinandersetzen. 
In so einer Anspruchshaltung, egal ob sie nun von außen kommt oder ob der Künstlerin sie sich selbst auferlegt hat, sieht Hanno Rauterberg jedoch eine Gefahr. Die Gefahr einer „von neuen Grenzen durchzogenen Kunst“, die er an der Frage festmacht, ob es erlaubt ist, „dass ein Christ sich anmaßt über das Seelenleben eines Muslims zu befinden." Also ob Künstler nur über das, was sie selbst erlebt haben, Kunst machen dürfen. 
Am deutlichsten für "Ja" spricht dabei nicht einmal, dass der Erkenntnisgewinn durch Kunst und die Berührung von Kunst für das Publikum wahrscheinlich größer wären, würden sich Künstler nur mit Themen beschäftigen, die sie selbst betreffen, sondern die Empörung über die Selbstherrlichkeit mit der Künstler sich mit gewissen Themen auseinanderzusetzen und über deren Selbstüberschätzung.
Niemand erwartet mehr automatisch ein Mehrwert, wenn man sich künstlerisch mit gewissen Themen auseinandersetzt. Nur weil erstens das Thema, um das es geht, wichtig und dringlich und zweitens Kunst grundsätzliche bedeutsam ist, sodass nach dieser Logik eine Beschäftigung von Kunst mit einem gewissen Thema dessen Übertragung in höhere Sphären bedeutet.
Auch Rautenberg beschreibt diese Entwicklung, allerdings mit großem Bedauern: „Die Vorstellung, dass die Kunst einen universalistischen Freiraum öffnet, indem alles von allen gedacht und erprobt werden darf, diese Vorstellung wird zunichte gemacht.“ 
Ich behaupte das Gegenteil: Es ist nicht alles erlaubt und nicht alles möglich. Natürlich hat Kunst mit dem Glauben, etwas Besonderes zu sein und dementsprechend mit Sich-Überlegen-Fühlen zu tun. Aber entstehen aus diesem Glauben nicht eher Einschränkungen, anstatt die allergrößte Freiheit? Einschränkungen, die die Verantwortung, die man als Künstler trägt und die Bringschuld, die man vor allem sie selbst gegenüber verspürt, mitbringen.

Rauterberg schreibt weiter: „Wohin das segregierende Denken (...) am Ende führen wird ist leicht abzusehen. Da die Kunst nicht länger frei und aus sich selbst heraus wertvoll ist, muss sie von der Biografie des Künstlers beglaubigt werden. Und sollte dieser Künstler kein aufrecht authentisches Leben führen, fällt der Wert seiner Kunst unweigerlich in sich zusammen.“
Muss man sich vor dieser Entwicklung fürchten, sie aufhalten oder ist es nicht eher schon immer so gewesen? Normalzustand also: Es gibt keine Kunst, die aus sich selbst heraus Kunst ist. Kunst – egal ob man sie dem Bereich Ethik oder dem Bereich Ästhetik zuordnet, zwischen denen sowohl Saltz auch als Rauterberg unterscheiden – ist immer erst dann Kunst, wenn der Künstler befindet, dass ein Werk fertigt ist. Dies ist nicht nur einer der schwersten Momente beim Kunst-Machen, neben dem Sich-Aufraffen vor der leeren Leinwand, sondern vielleicht auch derjenige, der am meisten mit dem Künstler selbst zu tuen hat, damit zusammenhängt, wie ich als Künstler zu mir selbst stehe. Die Entscheidung, ob etwas Kunst ist, hängt am stärksten davon ab, ob ich mich erfolgreich so verhalten habe, dass am Ende mein Selbstwertgefühl und meine Selbstzufriedenheit ausreichen, um eine Sache zur Kunst zu erklären. Der einzig nützliche Künstler ist also nicht der moralisierende, anprangernde, aber auch nicht der verspielte, verträumte, den sich Rauterberg wünscht, sondern der sich selbst hinterfragende Künstler, der immer wieder sich selbst etwas beweisen muss, seine eigene Nützlichkeit unter Beweis stellen muss.


Dienstag, 25. Juli 2017

KUNST und Leistung


Dass Kunst etwas mit Leidenschaft zu tun hat, man könnte auch sagen, dass Kunst für Leidenschaft steht, ist etwas ganz Selbstverständliches. Nicht aber, dass Kunst für Leistung steht.
Kunst mit Leistung, mit Karrieredenken, gar mit Karrieregeilheit (auch wenn Karrieregeilheit für mich nichts Negatives ist) in Verbindung zu bringen, wird öffentlich geahndet. Als ebenso schlimmes Vergehen wie das verbale Abkotzen Winfried Kretschmanns, Baden-Württembergs grünem MP, auf deren Bundesparteitag über die von den Fundis aus seiner Partei geforderte Elektroautoquote, das heimlich von irgendjemand mitgefilmt und von Rechten dann geleakt wurde.
Nein, dass Kunst ganz viel mit Leistung zu tun hat, ist nicht bloß eine tolle Wortspielerei, auf die ich gekommen bin, weil sich „Leistung“ und „Leidenschaft“ irgendwie gleich anhören. Sonst würde ich dem Thema wohl kaum einen ganzen eigenen Beitrag widmen.
Natürlich hat Kunst auch mit Leidenschaft zu tun, ist Kunst am Anfang eine ganz große Passion. Irgendwann aber, nach einer gewissen Zeit, wünscht sich, behaupte ich, aber doch jeder automatisch, dass aus Leidenschaft ein Beherrschen wird.
Als Fußballer trainiert man dann einfach mehr oder übt länger und intensiver, wenn man Musiker werden will. Aber in der Kunst? (mehr dazu: KUNST und Sich-Radikalisieren)
Für mich sind Kunst und Leistung Synonyme, ist Kunst ein Synonym für Leistung und alle Begriffe, die zum Wortfeld „Leistung“ dazugehören. Für alles, was sich unter dem Oberbegriff „Leistung“ zusammenfassen lässt, wie etwa Erfolg, Effizienz, Selbstoptimierung, Zufriedenheit und Einsatz.
Ein Facebook-Freund meinte kürzlich ein einem Kommentar zu meinen letzten Post, das Ganze würde sich anhören wie der Jargon von Marketingberatungsfirmen. Wäre dieser nicht meistens völlig sinnentleert, würde ich das nicht einmal als Kritik ansehen. Schließlich rücke ich Kunst absichtlich in die Nähe von Business und Karriere. Weil ich damit etwas deutlich machen will. Auch wenn ich dabei auf gewaltigen Wiederstand stoße.
„Kunst ist doch das einzige Feld, in dem es noch nicht um Leistung geht und das ist doch gerade das Schöne!“, hat einer meiner Kommilitonen mal geklugscheißert, als ich ein Youtube-Video gemacht habe, in dem es um das gleiche Thema ging.
Ich sehe das natürlich anders! Aber woher kommt meine neoliberale Kunsthaltung?
Ich verrate euch jetzt mal, was mich zu dem gemacht hat, was ich jetzt bin: Ich lese gerne Feuilletons, habe unglücklicherweise aber die schlechte Angewohnheit, nicht darüber hinweglesen zu können, was andre darin über Kunst schreiben. Und weil ich selber Künstler bin, stelle ich immer wieder fest, um wie viel Stuss es sich dabei handelt.
Kunstkritiker tun in ihren Texten immer so, als sei Kunst eine von außen beschreibbare, fest definierte Größe oder Einheit, als könnten sie wie Sportjournalisten, die beim Fußball automatisch auch über Tore berichten, anhand all dessen was sie bisher gesehen haben (aber nie selbst gemacht haben!) automatisch auch festlegen, was Kunst ist. Schlimmer noch sogar: Als gäbe es einen allgemeinen Konsens darüber, was Kunst ist, den sie zwar nicht benennen können (niemand kann das), aber anhand von Kunstwerken beschreiben und zwar mit dem allergrößten Schwulst, der ihnen einfällt. Und dies als ihre oberste Aufgabe ansehen.
Man könnte sagen, sie unterliegen dem Trugschluss, dass Leidenschaft alles ist. Sie überschlagen sich förmlich mit ihrer Leidenschaftlichkeit. „Das Schreiben über Kunst hat das Beschreiben der Wahrheit verloren.“, beschreibt Nicole Zepter diesen Zustand in ihrem Buch „Kunst hassen“.
Dann doch lieber wie ich: Ich will, dass jeder versteht, worum es bei Kunst geht, auch wenn ich mich dabei anhöre, wie ein Werber, wie ein Marketingstratege oder wie ein Personaltrainer im Fitnessstudio, dessen fette Ader an der Stirn noch dicker anschwillt, wenn er seine übergewichtigen Kunden mit kurzen, knackigen Anweisungen zum Schwitzen bringt: Leistung! Leistung! Leistung!
Kunst ist in erster Linie eine Erfindung. Meine Erfindung. Die Erfindung eines Künstlers. Niemand weiß, was Kunst ist, aber jeder kann Kunst machen. Deshalb geht es bei Kunst ums Erfinden. Und ich will, dass das jeder versteht – auch richtig versteht. Denn man könnte es nämlich so auch auslegen, ich würde behaupten, dass Kunst bloß ein ganz großer Bluff ist.
Im Gegenteil: Ich meine das alles durch und durch positiv. Nämlich dass durch die Kunst jeder die Möglichkeit hat, zu sein, wer er sein möchte, zu tun, was er tun will – er muss nur die nötige Leistung dafür aufbringen. Bei Kunst geht es also ums Sich-Selbst-Erfinden.
Ich habe meine persönliche Herangehensweise ans Kunst-Machen mal auf eine, wie ich finde, ganz griffige Formulierung gebracht: Ich weiß nicht, was Kunst ist, weiß nicht, was ich da mache. Deshalb muss ich jeden Tag, das Beste geben, um – wenn schon niemand weiß, was Kunst ist – zumindest die optimalen Voraussetzungen zur Herstellung von Kunst zu schaffen. Um zumindest das Gefühl zu haben, alles dafür getan zu haben, mein Bestes gegeben zu haben, dass Kunst entstehen kann.

Das Gefühl, alles gegeben zu haben, ist ein wesentlicher Faktor für Kunst. Wahrscheinlich der Wichtigste. Deshalb will ich, dass Leute in Zukunft ,wenn sie auf Ausstellungen oder in Museen gehen, verstehen, dass es genau darum geht. Dass es bei Kunst ums Alles-Geben geht, ums Sich-Selbst-Erfinden, um die Leistung, sich selbst zu erfinden. Nur so kann jeder – nicht nur die paar geistigen Höhenflieger, die zu verstehen scheinen, was Kunstkritiker in Feuilletons schreiben – etwas mit Kunst anfangen und von Kunst profitieren.