Mittwoch, 28. Juni 2017

Aus aktuellem Anlass: Biennale-Kritik



Das Nichts-Tun feiern 😤😤😤

Kunstwerke sind dann am Besten, wenn sie einem vorführen, was Kunst ist. Bei diesem Versuch sind auf dem Arsenale-Gelände der diesjährigen Venedig-Biennale alle gescheitert. Schon lange bin ich nicht mehr so enttäuscht worden, wie von der von Christine Macel kuratierten Hauptausstellung der diesjährigen Biennale "Viva Arte Viva".
Macel hat in Interviews zwar viel davon gesprochen, zwischenzeitlich wohl aber vergessen, worum es bei Kunst wirklich geht. 
Von In-Sich-Gehen, Sich-Seiner-Selbst-Bewusst-Werden, Intensität, Ekstase, dem Moment des Aus-Sich-Heraustretens, Bewusstseinserweiterung, Zeit und Freiheit war in ihren Antworten immer die Rede. Zeigen, welchen Bezug der Künstler zur Zeit hat und was er mit ihr anfängt. Seinen Blick auf die Welt hält sie für außergewöhnlicher als die anderen, weil er erfindungsreich und unabhängig ist. 
Das alles gipfelt zu meinem großen Missfallen in einer Umwertung (Aufwertung) der Vorstellung vom Nichts-Tun. Hier lässt man das kreative Nichts-Tun hochleben.
Die Blicke der Künstler, die sie ausgewählt hat, könnte man auch deshalb für außergewöhnlich halten, weil diese zu sorglos, zu umambitioniert, zu uneitel sind. (Dabei handelt es sich dann um eine Umwertung von "außergewöhnlich" nach Macels Manier. Nur umgekehrt.)

Kunstwerke sind am Besten, wenn sie vorführen, was Kunst ist

Das führt mich zurück zu meiner Behauptung vom Anfang: Kunstwerke sind dann am Besten, wenn sie einem vorführen, was Kunst ist. Das impliziert, dass es sich bei Kunstwerken selbst nicht um Kunst handelt.
Kunst ist etwas, das direkten Einfluss auf das Leben hat. Ich bin mir allerdings noch nicht ganz sicher, ob es sich dabei um eine Anspruchshaltung ans Leben handelt, im Sinne, dass Kunst für ein besseres Leben steht, dass es darum geht, das Leben "kunstwürdiger" zu machen oder ob Kunst nicht schon allein der Wunsch dies zu versuchen, zu erreichen ist und alles wovon dieses Bestreben sich nährt – so wie der künstlerischen Ansatzes beim Künstler. Also das, was hinter seinem Kunstschaffen steckt. 

Es reicht nicht, wenn Kunstwerke nur davon handeln

Es reicht nicht aus, wenn Kunstwerke nur von Intensität, Bewusstseinserweiterung und Zeit handeln. Kunstwerke müssen einem Lust machen mit Kunst Einfluss auf diese Bereiche zu nehmen und einem vorführen, wie es geht.
Kunst kann wirklich das Leben verändern, weil der Blick des Künstlers – da bin ich mit Macel einer Meinung – tatsächlich außergewöhnlich ist. Außergewöhnlich, weil er auf das Wesentliche im Leben gerichtet ist, das Elementare, Grundlegendste. Kunst ist das Elementare und Kunst-Machen ist dessen Ausgestaltung. Doch an dieser Stelle erliegt Macel einem fatalen Missverständnis. Das Grundlegendste kann selbstverständlich auch das Streben nach dem Größtmöglichen sein. So wie ich es mit meiner Kunst versuche.

"Wesentlich" und das Wesen falsch verstanden 😴😴😴

Das tut der Künstler hier aber nicht. Nochmal: Sein Blick ist deshalb außergewöhnlich, weil er zu sorglos, zu umambitioniert, zu uneitel ist. Er ist verliebt ins Schlafen, nicht ins Schaffen. 
Es hat den Anschein, als handele es sich beim Wesentlichen hier bloß um Begeisterung für Materialen, fürs Schaffen mit den Händen, Begeisterung für andere. Sich mehr für andere interessieren als fürs eigene Vorankommen, als fürs eigene Künstler-Ego. So sehr für andere interessieren, dass einem nicht vorgeworfen werden kann, dass man am Ende nicht wirklich etwas geschafft hat.
Nur: Ist das wirklich das Wesen des Künstlers? Und: Streben nicht auch die Benachteiligten, um die es hier so oft geht, nach dem Allergrößten? Nur eben innerhalb ihrer eigenen Schranken. Ist das dann nicht sogar mehr Kunst? Macht sie das nicht sogar mehr zu Künstlern?

Mäßigung ist kein Weg zur Kunst

Das Grundlegende kann auch das Streben nach dem Größtmöglichen sein und muss nicht bedeuten, das Kunstmachen auf die simpelsten Betätigungen zurückzuführen. Hier findet eine Mäßigung der Möglichkeiten statt, um darauf aufmerksam zu machen, dass es bei Kunst ums Wesentliche geht.
Wesentlich für Kunst ist hier nicht das Ausschöpfen der Möglichkeiten, sondern Mäßigung. Zwar kann diese tatsächlich ein Bestandteil von Kunst sein, nur eben niemals in Form von Mäßigung der Mittel oder der Einsatzmöglichkeiten. Ausschließlich Sich-Selbst-Mäßigen als Selbsttherapie gegen die Unsicherheit beim Kunst-Machen, gegen das Unwissen über Kunst, bei denen es sich leider um Wesensmerkmale der Kunst handelt, ist erlaubt.
Wenn man nie wirklich kann, sondern immer nur versucht, immer nur darauf wartet endlich zu können, führt man automatisch ein bedachteres, gemäßigteres, bescheideneres und demütigeres Leben.
Sich-Selsbt-Mäßigen ist die einzige Form der Mäßigung mit der man Kunst erreichen kann und führt vor, dass Kunst bei einem selbst stattfindet, dass das Kunst-Machen mit einem selbst etwas macht. 
Keins der Kunstwerke hier hat das rübergebracht. Die sind alle so gemäßigt, dass sie mit einem selbst gar nichts mehr machen. 
Was völlig fehlt: Echte Künstler. Echte Künstler, die nach dem Allergrößten streben und bei denen allein das mit dem Mäßigen deshalb funktioniert.